Lehren aus Mecklenburg-Vorpommern

Vor fünf Jahren wählte Mecklenburg-Vorpommern einen neuen Landtag. Damals schaffte die NPD den Einzug in den Landtag, die Linke war extrem stark und insgesamt wählten rund ein Viertel aller Wähler die beiden Parteien der politischen Extreme. Fünf Jahre später scheint es noch schlimmer. Eine Analyse:

Gestern um 18 Uhr strahlten die TV-Anstalten die erste Prognose aus Schwerin aus. Was über den Bildschirm flimmerte sorgte nicht nur im Nordosten des Landes für lange Gesichter und offene Münder. Die AfD hatte aus dem Stand 21 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern geholt und damit die CDU überflügelt. Die Christdemokraten sind nun nur noch drittstärkste Kraft im Schweriner Landtag, die SPD bleibt stärkste Fraktion muss aber auch herbe Verluste hinnehmen. Die Linke fuhr ihr schwächstes Ergebnis in Ostdeutschland seit 25 Jahren ein und die Grünen verpassten den Einzug in den Landtag, wie auch die FDP. Einziger Lichtblick für alle Demokraten, die NPD fliegt aus dem Landtag und ist damit in keinem deutschen Parlament mehr vertreten. Was jedoch sind die Lehren aus dieser Wahl, die rund ein Jahr vor der Bundestagswahl ein mindestens mittelschweres Erdbeben in der deutschen Politiklandschaft auslöst?

Im Folgenden stelle ich einige Schlussfolgerungen und Hypothesen auf:

  1. Direkt nach der Wahl gab es Stimmen aller Parteien, die die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern zur Abstimmung über Angela Merkel erklärten. Vor allem SPD-Spitzen wiederholten dies gebetsmühlenartig. Wer behauptet, dass es bei dieser Wahl nicht um die Flüchtlingspolitik ging, der verschließt die Augen, deshalb ist auch an der herbei gerufenen Abstimmung über die Kanzlerin einiges an Wahrheit enthalten.
  2. Die SPD erklärte die AfD zum alleinigen „Problem“ der CDU. Dies geht jedoch deutlich an der Wahrheit vorbei. Schaut man sich die Wählerwanderung an, so konnte die AfD von allen Parteien Wähler für sich gewinnen, prozentual sogar mehr von der SPD, als von der CDU. Die AfD ist also ein „Problem“ für alle demokratischen Parteien, gegenseitige Schuldzuweisungen führen schlichtweg in eine Sackgasse und verkennen die eigene Verantwortung.
  3. Die größte Gruppe unter den Wählern der AfD stellen ehemalige Nichtwähler dar. Mehr als ein Drittel der AfD-Wähler blieben zuletzt den Wahlurnen fern. Die AfD schafft es also, diese Gruppe zum Wählen zu bringen. Das ist das größte Manko der etablierten Parteien, die seit Jahren die Bemühungen um Nichtwähler steigern, aber keinen Erfolg haben.
  4. Über 70 Prozent aller Wähler, darunter auch ein Großteil der AfD-Wähler, wählt diese Partei, um den großen Parteien einen Denkzettel zu verpassen. Die AfD selbst stellt jedoch unmissverständlich klar, dass sie gar keine Verantwortung übernehmen möchte. Der Spitzenkandidat sagte in seinem ersten Statement: „Der Landtag hat wieder eine Opposition.“ Viele Menschen wählen also ganz bewusst die AfD, obwohl sie damit nicht zu einem Regierungswechsel beitragen, denn zumeist führt eine starke AfD zu einer großen Koalition oder einer unsicheren Koalition aus drei Parteien. Protestwahl ist also ein immer stärkerer Ausdruck von Unmut.
  5. Diese Protestwahl gibt insofern zu bedenken, als dass früher entweder die Linke oder rechtsextreme Parteien gewählt wurden und als marginale Kräfte in der Opposition saßen. Heute vereint die AfD diese Wähler und sitzt als wahrnehmbare, in diesem Fall zweitstärkste, Fraktion in einem Landtag. An ihrer Arbeit indes wird die AfD nicht gemessen, man gefällt sich in der Rolle der Fundamentalopposition und die Wähler goutieren es. Eine Auseinandersetzung mit der AfD gibt es nicht, außer man stigmatisiert sie. Stigmatisierung führt jedoch oft zu einer Art Märtyrertum und das ist und bleibt der falsche Weg.
  6. Die NPD ist aus dem Landtag ausgeschieden. Das ist gut, zweifellos. Aber die Gesinnung ist damit nicht aus dem Landtags ausgeschieden. Verschiedentlich haben AfD-Spitzen gesagt, man werde in Sachfragen auch mit den Rechtsextremen zusammenarbeiten und sich um deren Wähler bemühen. Es ist davon auszugehen, dass einige AfD-Fraktionsmitglieder im Schweriner Landtag nur deshalb nun hier sitzen, weil sie mit Stimmen ehemaliger NPD-Wähler gewählt wurden. Man hat also nicht das Ziel erreicht, eine rechtsextreme Partei aus dem Landtag zu bekommen, sondern deren Gesinnung und Wählerpotential auf eine angeblich gemäßigte rechtspopulistische Partei verteilt.
  7. Wer rechts blinkt, wird rechts überholt. Die SPD hat gerade durch ihren Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, versucht ein wenig der aktuellen Stimmung für sich zu gewinnen und Dinge gesagt, die so nicht unbedingt immer SPD-Beschlusslage waren. Damit hat man der AfD weiter Wähler zugeschoben, denn am Ende wählt man doch das Original. Schlimmer noch, der Union scheint man in diesen Fragen keinen Glauben mehr zu schenken, trotz neuer strikterer Inhalte, die Thomas de Maizière oder Jens Spahn auch öffentlich kundtun, schaffte es die Union nicht, Wähler zurückzugewinnen. Ein Jahr vor der Bundestagswahl ist das ein alarmierendes Zeichen.
  8. Ungewohnt ehrlich gaben sich nach der Wahl die Spitzen der Union. Kein Lavieren, keine Ausreden, sondern klare Worte der Selbstkritik. Dies muss nun auch Grundlage sein für ein Umdenken in einigen Punkten. In einem Jahr sind Bundestagswahlen, wer jetzt nicht die Zeichen der Zeit erkennt, wird bald schon bestraft werden.
  9. Die Zeiten der asymetrischen Demobilisierung scheinen vorbei. Durch den zunehmenden „Kampf um die Mitte“ sind Parteien an den Rändern entstanden, die sich nach und nach etabliert haben, beziehungsweise dies gerade tun. Die Stimmenabgabe ehemaliger Nichtwähler zeigt das. Man hat selbst die sogenannte Mitte auch verkleinert, indem man viele Kritiker in eine der extremen Ecke gestellt hat. Da sind wir wieder bei der Stigmatisierung. Große Teile der Gesellschaft wurden durch eigene Aussagen aus der Mitte entfernt und so den Rändern zugeleitet. Wenn man jedoch um eine immer kleiner werdende Mitte kämpft, ist das Wählerpotential für zu viele Parteien zu gering.

Diese Schlussfolgerungen und Hypothesen dienen zunächst als Diskussionsgrundlage, nicht jeder wird jeden Punkt teilen, aber für jeden ist mindestens ein Punkt dabei, den man diskutieren könnte. Auf Grundlage dieser Diskussionen, die man sicherlich auch auf Basis weiterer Analysen tätigen kann, muss man nun zeitnah Konzepte erarbeiten, die es ermöglichen mit neuem Schwung und inhaltlich stark in den Bundestagswahlkampf zu ziehen. Tut man dies nicht gibt es in einem Jahr ein böses erwachen.