Rede zum Volkstrauertag am 19.11.2017

Am Volkstrauertag kommen die Nieder-Erlenbacher Vereine auf dem alten Friedhof zusammen, um den Toten, Gefallenen, Vertriebenen und allen Opfern von Krieg, Terror und Gewalt zu gedenken. Meine Rede zu diesem Anlass:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Vereinsvertreter,

der deutsche Politiker und führende Vertreter des politischen Katholizismus im Deutschland der Weimarer Republik, Erich Klausener, sagte einmal:

„Friede ist mehr als Nicht-Krieg. Friede bedeutet Versöhnung, Annäherung, Ruhe in Ordnung, Menschlichkeit für alle Menschen. Friede ist nur durch menschliches Umdenken zu erreichen. Vor allem muss aus den Herzen alles Misstrauen gebannt werden.“

Diese Worte von Erich Klausener sollten uns Mahnung und Aufgabe zugleich sein. Die bloße Einstellung kriegerischer Handlungen ist noch kein Frieden. Erich Klausener hat dies am eigenen Leibe erfahren müssen. Als Politiker des katholischen Zentrums war er ein Widerstandskämpfer der ersten Stunde gegen die Nationalsozialisten. Diesen Kampf, den er stets mit seinen christlichen Grundwerten begründete, bezahlte Klausener 1934 mit dem Leben. Ermordet von den Schergen einer menschenverachtenden Diktatur, die kurz darauf Europa und die ganze Welt in Krieg, Vertreibung, Gewalt und Tod stürzten.

Erich Klausener lebte in einer Zeit des offiziellen Waffenstillstandes und doch einer Zeit der latenten Bedrohung und genau deshalb ist sein Zitat ein Zeichen der Menschlichkeit, in schier unmenschlichen Zeiten.

Meine Damen und Herren,

wenn wir uns heute hier versammeln, um den Verstorbenen zu gedenken, dann kann dies nicht losgelöst von den großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts geschehen. Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass heute vor 100 Jahren, Ende November 2017, in der französischen Gemeinde Cambrai, erstmals Panzer in Massen in eine Schlacht rollten und den damals bereits gefallenen Schnee in tiefes Blutrot tauchten.

Wir dürfen nicht vergessen, dass nur 25 Jahre später, im November 1942, die sechste Armee der deutschen Reichswehr an der Wolga von der roten Armee in einer nie dagewesenen Schlacht, die abertausende von jungen Menschenleben kostete, zurückgedrängt wurde und damit der Anfang des Endes der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft eingeleitet wurde.

Und wir dürfen niemals vergessen, dass ebenfalls im Jahr 1942, die ersten Deportationen von Juden aus ganz Europa nach Auschwitz-Birkenau begannen, in dessen Folge, sechs Millionen Juden auf grausamste Weise ermordet wurden. Die Gaskammern und die Schornsteine der Krematorien stehen sinnbildlich für das größte Verbrechen, das jemals von Menschen an anderen Menschen verübt wurde.

Meine Damen und Herren,

heute stehen wir hier und tragen Trauer. Wir stehen aber auch hier im vermeintlichen Gefühl des Friedens. Für meine Generation sind Krieg und Vertreibung Geschichten unserer Eltern und Großeltern. Aber dies ist nur auf den ersten Blick wahr. Es gibt Teile meiner Generation, die nicht in Deutschland und Europa, nicht in Frieden und Freiheit aufgewachsen sind und leben. Viele junge Menschen sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Opfer von Terror, Gewalt, Krieg und Vertreibung geworden. Wir haben dies nicht unmittelbar, aber doch mittelbar erlebt, denn viele dieser Menschen sind nach Deutschland gekommen, um sicher leben zu können, um den Gräuel der Heimat zu entfliehen.

Meine Damen und Herren,

durch die Geschichte von Teilen meiner Familie weiß ich sehr genau, dass nur wenige Menschen freiwillig ihre Heimat verlassen. Selbst größte Not und schreckliche Kriegstage werden ertragen, ohne seine Heimat aufzugeben. Wenn jedoch Leib und Leben so sehr gefährdet sind, dass man nicht weiß, ob am nächsten Tag die gesamte Familie noch beisammen sein kann, packt man ein wenig Hab und Gut, eben das, was man so tragen kann, und macht sich auf den Weg. Man macht sich auf einen Weg, der ins Ungewisse führt. Man begibt sich auf eine Reise, von der man nur erahnen kann, wo sie endet und man hinterlässt nicht nur Habseligkeiten und möglicherweise ein Haus.

Viele Menschen haben dies in den Wirren des zweiten Weltkriegs getan. Sie sind aus den ehemaligen ostdeutschen Gebieten Richtung Westen geflohen oder später vertrieben worden. Sie kamen auch zu uns nach Nieder-Erlenbach und fanden hier eine neue Heimat. Unzählige Straßennamen zeugen davon.

Heute haben wir Nieder-Erlenbacher wieder einmal Menschen, die vor Krieg und Terror flohen, eine neue Heimat geboten und wir können dies, weil wir in Frieden und Freiheit aufgewachsen sind, doch dieses Glück hat nicht jeder auf der Welt und so müssen wir gerade an solchen Tagen, wie dem Volkstrauertag, immer wieder daran erinnern, dass das Schicksal von Flucht, Vertreibung und letztendlich auch Tod ein Teil der deutschen Identität ist. Ohne diesen Teil der Geschichte, ohne diese individuellen Erinnerungen, die zu einem kollektiven Gedächtnis führten, verlieren wir den Blick für die Herausforderungen, die uns unsere Zeit aufgetan hat.

Meine Damen und Herren,

„Friede ist nur durch menschliches Umdenken zu erreichen. Vor allem muss aus den Herzen alles Misstrauen gebannt werden.“ Erinnern wir uns stets an diese Worte von Erich Klausener, der für den Kampf gegen Unterdrückung und Terror mit seinem Leben bezahlte. Ein Mann, für den Frieden immer das höchste Ziel war und der diesen Frieden nie erleben durfte. Lassen Sie uns heute am Volkstrauertag innehalten und daran denken, wie einzigartig Frieden ist und wie sehr wir alle jeden Tag für diesen Frieden und für unsere Freiheit kämpfen sollten. Lassen Sie uns eine Botschaft in die Welt senden, denn nicht nur in Nieder-Erlenbach sind heute viele Menschen versammelt, um unserer Verstorbenen zu gedenken. Die Botschaft, die wir senden, lautet:

„Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Das Eintreten für den Frieden in Freiheit jedoch muss für jeden Einzelnen zur Selbstverständlichkeit werden.“

 

Totengedenken:

Wir denken heute

an die Opfer von Gewalt und Krieg,

an Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Wir gedenken

der Soldaten, die in den Weltkriegen starben,

der Menschen, die durch Kriegshandlungen oder

danach in Gefangenschaft, als Vertriebene und

Flüchtlinge ihr Leben verloren.

Wir gedenken derer,

die verfolgt und getötet wurden,

weil sie einem anderen Volk angehörten,

einer anderen Rasse zugerechnet wurden,

Teil einer Minderheit waren oder deren Leben

wegen einer Krankheit oder Behinderung

als lebensunwert bezeichnet wurde.

Wir gedenken derer,

die ums Leben kamen, weil sie Widerstand

gegen Gewaltherrschaft geleistet haben,

und derer, die den Tod fanden, weil sie an

ihrer Überzeugung oder an ihrem Glauben festhielten.

Wir trauern

um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage,

um die Opfer von Terrorismus und

politischer Verfolgung,

um die Bundeswehrsoldaten und

anderen Einsatzkräfte,

die im Auslandseinsatz ihr Leben verloren.

Wir gedenken heute auch derer,

die bei uns durch Hass und Gewalt gegen

Fremde und Schwache Opfer geworden sind.

 

Wir trauern mit allen,

die Leid tragen um die Toten und

teilen ihren Schmerz.

Aber unser Leben steht im Zeichen der

Hoffnung auf Versöhnung unter den

Menschen und Völkern,

und unsere Verantwortung gilt dem

Frieden unter den Menschen zu Hause

und in der ganzen Welt.